Juda und Israel: Eine monumentale Stadtkultur

Juda und Israel: Eine monumentale Stadtkultur
Juda und Israel: Eine monumentale Stadtkultur
 
Die neuen israelitischen Städte der Zeit zwischen 1000 und 900 (Eisenzeit IIA) waren im Vergleich mit den kanaanäischen Städten der Bronzezeit und noch mehr im Vergleich zu den Großstädten Syriens und Mesopotamiens auffallend klein. Die einfachen Provinz- und Wohnstädte waren durchschnittlich drei bis sechs Hektar groß, nur die Verwaltungs- und Vorratsstädte mit ihrem größeren Anteil öffentlicher Gebäude hatten eine Größe von etwa zehn Hektar. Auffallend ist, dass insbesondere die größeren Städte nach einem gemeinsamen Schema angelegt sind. Nicht nur die Grundrisse der Stadttoranlagen, der Paläste und der Wohnhäuser, sondern auch ihre Zuordnung untereinander zeigen so große Ähnlichkeiten, dass man sie nur als Ergebnis eines planmäßig betriebenen Landesausbaus erklären kann. Dabei ist auffallend, dass sich die Wohnarchitektur der Städte nicht von der der vorangehenden Dorfkultur und der neben den Städten weiter existierenden Dörfer unterscheidet. Auch die Privathäuser in den Städten haben den Grundriss des in der vorstaatlichen Epoche entwickelten Typs des Dreiraum- oder Vierraumhauses. Selbst wo in den Städten wegen des begrenzten Baugrundes Reihenhäuser und Häuserblockbildungen notwendig waren, bleibt die Orientierung am Vierraumhaus erkennbar. Damit ist die Wohnarchitektur ein deutlicher Hinweis auf die kulturelle Kontinuität zwischen der Stämmegesellschaft (Eisenzeit I) und der frühstaatlichen Zeit (Eisenzeit II). Auch das Israel der eigenstaatlichen Epoche hat weitgehend eine bäuerliche Kultur. Ferner ist bemerkenswert, dass es - Jerusalem, Bethel und Samaria ausgenommen - in den Städten keine Tempelbauten gibt. Das unterscheidet die israelitischen Städte von ihren kanaanäischen Vorgängerinnen. Im Verzicht auf Tempelbauten drückte sich schon in der israelitischen Dorfkultur die Distanz zu den kanaanäischen Stadtstaaten aus. Nach Ausweis der biblischen Überlieferung gab es weiterhin außerhalb der Städte und Dörfer die offenen Kultstätten mit ihrem bäuerlichen Charakter. Dass in der Hauptstadt Jerusalem und ab dem 9. Jahrhundert in der Hauptstadt Samaria sowie in dem alten Kultort Bethel Tempelbauten errichtet oder fortgeführt wurden, bestätigt diese Eigentümlichkeit der israelitischen Städte, weil es sich dabei nicht um Stadt-, sondern um National- beziehungsweise Reichsheiligtümer handelte.
 
Ist das 10. Jahrhundert die Epoche, in der die Städte mit einer gewissen Gleichförmigkeit neu angelegt werden, so bringen die nächsten zwei Jahrhunderte (900-720/700: Eisenzeit IIB) eine Differenzierung des Städteausbaus. Zwar überwiegt in der Wohnhausarchitektur, ebenso wie in der handwerklichen Produktion, die Kontinuität, doch dokumentieren sich in der Architektur der öffentlichen Bauten neue gestalterische Kraft und Absicht. Die neuen Ideen und Techniken zeigen sich in den öffentlichen Bauten (Palast- und Verwaltungsgebäude) und insbesondere bei der Stadtbefestigung (Stadtmauern und Toranlagen), der Vorratshaltung und der Wasserversorgung der Stadt. Gerade die Wasserversorgungsanlagen dieser Epoche sind eine konzeptionelle und bautechnische Leistung ersten Ranges und offensichtlich von israelitischen Architekten originär entwickelt worden. Ebenso eindrucksvoll sind die Festungen, die an den Grenzen und an strategisch wichtigen Stellen des Landes errichtet wurden.
 
Die Notwendigkeit der neuen Monumentalarchitektur ergab sich aus der veränderten außen- und innenpolitischen Situation. Die Rivalität der beiden Teilreiche Juda und Israel, die nach dem Auseinanderbrechen des davidisch-salomonischen Reiches entstanden waren, und ihre teilweise kriegerisch ausgetragenen Konflikte untereinander sowie vor allem der Machtzuwachs der Nachbarstaaten zwangen zum Ausbau der Städte. Die Stärkung der Verteidigungs- und Versorgungsanlagen einzelner Städte an strategisch wichtigen Straßen und an den Staatsgrenzen sollten diese Städte zu Stützpunkten und Bollwerken der Macht machen, die als autonome Zentren auch längere Belagerungen überstehen und so feindliche Heere binden konnten. Die Monumentalbauten sollten darüber hinaus auch der eigenen Bevölkerung das Gefühl der Sicherheit und der Überlegenheit geben. Vor allem die Könige des Nordreichs Israel haben offensichtlich versucht, den ideologischen Vorsprung des Südreichs Juda, den dieses mit der Stadt Jerusalem hatte, durch intensive Bautätigkeit wettzumachen. Die Gründung von Samaria als neuer Hauptstadt Israels durch König Omri und ihr monumentaler Ausbau durch seine Nachfolger sind vor diesem Hintergrund der Machtdemonstration nach innen wie nach außen zu sehen.
 
Der neue Baustil der Epoche lässt sich sowohl an der Baukonzeption wie am Baumaterial erkennen. Die Paläste und Verwaltungsbauten sind auf hohen Podien oder auf künstlich geebnetem Baugrund errichtet. Sie sind streng rechtwinklig angelegt und nach den vier Himmelsrichtungen orientiert. Insbesondere waren die großen Quader, deren Randschlag ihre rechtwinklige Form noch hervorhob, als Baumaterial auf die monumentale und geometrische Baukonzeption zugeschnitten. Die Quader mit ihren großen Schauflächen gaben den Gebäuden das Gepräge großer Abwehrstärke und Macht.
 
In der Wohnhausarchitektur zeigt sich einerseits die grundlegende Kontinuität zur israelitischen Dorfkultur im Weiterbestehen des Vierraumtyps bei den Privathäusern. Doch weisen andererseits Größe, Bauqualität und Anordnung der Privathäuser große Unterschiede auf, die am ehesten als Auswirkung oder Widerspiegelung der zunehmenden gesellschaftlichen Differenzierung zu erklären sind; diese wurden bereits in den krassen Unterschieden zwischen den Palästen der Verwaltung und den Wohnhäusern der Bauern sichtbar. Die Häuser der Großgrundbesitzer, der Funktionäre und der Kaufleute sind größer, teilweise sogar doppelt so groß wie die der Kleinbauern und Handwerker. Neben Häusern, die aus schön behauenen und in Doppelreihen zu Mauern von 50 bis 80 cm Stärke gelegten Steinen bestehen, gibt es solche, die nur aus Bruchsteinen und in einfacher Lage ausgeführten Mauern bestehen. Auch die Türschwellen und Türgewände, die aus monolithischen Steinen ausgehauen sind, zeigen sehr unterschiedliche Qualität.
 
Diese Epoche brachte in beinahe allen Bereichen der Kunst und des Handwerks herausragende Spitzenleistungen hervor. Dies gilt vor allem für die in Samaria gefundenen Elfenbeinschnitzereien, aber auch für die Fayence- und Metallarbeiten. Das Mobiliar der Luxushäuser war kostbar gearbeitet und ließ sich, wie in Samaria gefundene Reste von Betten zeigen, von assyrischen Vorbildern inspirieren.
 
Prof. Dr. Erich Zenger

Universal-Lexikon. 2012.

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